Sachsens Nachwende-Regisseur gestorben

Sachsens Nachwende-Regisseur gestorben

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Von 1990 bis 2002 führte Prof. Dr. Kurt Biedenkopf als Ministerpräsident die Regierung in Sachsen. Aus Anlass seines Todes blicken wir auf seine Verbindung zur Hochschule Mittweida.

Kurt Biedenkopf steht an einem Pult und hält die Festrede zur Investitur von Rektor Ludwig Hilmer am 1. Oktober 2012 in der Evangelischen Stadtkirche Mittweida.
Kurt Biedenkopf (1930–2021) hält die Festrede zur Investitur von Rektor Ludwig Hilmer am 1. Oktober 2012 in der Evangelischen Stadtkirche Mittweida. (Foto: André Wirsig)


„Als erster Ministerpräsident Sachsens nach dem Ende der DDR hat Kurt Biedenkopf den Freistaat Sachsen als Regisseur mitgeprägt. Das gilt auch für die Hochschulen, denen er ein verlässlicher Partner war“, würdigt Rektor Ludwig Hilmer. „Als früherer Dekan der Rechtswissenschaften und Rektor der Ruhr-Universität Bochum wusste er um die Bedürfnisse der Hochschulen und hat eine sehr besondere, fördernde Beziehung zur Hochschule Mittweida entwickelt.“

Schon im ersten Wahlkampf betonte der in Ludwigshafen geborene und in Schkopau bei Merseburg aufgewachsene Biedenkopf, dessen Familie am Ende des zweiten Weltkriegs vor dem Einzug der Roten Armee von den US-Streitkräften nach Hessen evakuiert wurde, den Wert der Freiheit. Gleichzeitig stand der neue Freistaat Sachsen nach dem Ende der SED-Diktatur vor immensen wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen. Für diesen Wiederaufbau bildeten die sächsischen Hochschulen eine wichtige Säule. Biedenkopf, der neben den Rechtswissenschaften in München und Frankfurt auch Politikwissenschaften in den USA und Nationalökonomie in Hessen studiert hatte, setzte mit seinem Kabinett auch auf angewandte Forschung und akademisch-gebildete Fachkräfte mit starkem Praxisbezug, um die Transformation zu einer zeitgemäßen Industrie zu fördern.

Respekt und Dank für Biedenkopfs Leistungen

„Sachsen hat die Transformation nach der Wiedervereinigung erfolgreicher gestaltet als andere der damaligen so genannten neuen Bundesländer“, so Hilmer. „Daran hatte Kurt Biedenkopf entscheidenden Anteil. Für seinen visionären Beitrag gebührt ihm Respekt, für seinen Beitrag zur Förderung der unabhängigen Wissenschaft in Sachsen danke ich ihm ebenso wie für seine Unterstützung beim Fortbestand und der Entwicklung der Hochschule Mittweida.“

Fünf Fachhochschulen wurden in Sachsen an traditionsreichen Ingenieurstandorten neugegründet. Für Mittweida ergab sich dabei nicht nur die Chance zur Rückbesinnung auf die eigene Geschichte, schließlich liegen die Wurzeln der heutigen Hochschule im 1867 gegründeten Technikum, das Menschen aus aller Welt mit seinem Konzept der praxisbezogenen Ingenieurausbildung nach Sachsen gezogen hatte. Der neuen Hochschule Mittweida eröffnete die akademische Freiheit auch die Gelegenheit, selbstbestimmt ihr Studienangebot zu gestalten.

Während andere vormalige Ingenieurhochschulen noch von der Aufwertung zu einer Universität träumten, hatte die Führungsmannschaft um Rektor Reinhard Schmidt und Kanzler Lothar Otto die Chance des Modells Fachhochschule erkannt. Schon 1991 startete an der heutigen Hochschule Mittweida das Studium der Wirtschaftswissenschaften, kurze Zeit später wurde nicht nur der traditionsstiftende Maschinenbau revitalisiert, sondern in schneller Abfolge Studienangebote in Sozialer Arbeit und Medien eingeführt, die für die Hochschule Mittweida bis heute mit prägend sind.

Für diesen rasanten Ausbau des Angebots brauchte es die passenden Voraussetzungen. Finanziell wie infrastrukturell. Aus einem Wohnheim wurde das heutige Haus 6 mit Professor:innenbüros, Laboren und Seminarräumen. Weitere Investitionen des Freistaats ermöglichten den Bau einer Hochschulsporthalle und die zeitgemäße Modernisierung bestehender Gebäude samt Laboren sowie Studios für Fernsehen und Hörfunk. Besonders Kanzler Lothar Otto spann einen guten Faden mit Kurt Biedenkopf und wusste das Wohlwollen des Ministerpräsidenten geschickt einzusetzen.

Biedenkopfs Verbindung zur Hochschule Mittweida

Biedenkopf nahm an dieser Entwicklung persönlich Anteil. Immer wieder führte ihn sein Weg nach Mittweida, oft auch ins damalige Medienzentrum. So war es der amtierende Ministerpräsident, der am 8. Oktober 1997 im neuen Fernsehstudio im ehemaligen Kesselhaus der Hochschule die Festrede zum Start des ersten deutschen Hochschulfernsehen hielt – Novum-TV, produziert von Studierenden für die Menschen in der Region. „Hier werden Praxis und Theorie aufs Beste zusammengeführt“, lobte Biedenkopf die anwendungsnahe akademische Medienausbildung nach dem Mittweidaer Modell.

„Besonders gefreut hat mich, dass er auch nach seinem Abschied als Ministerpräsident weiter Freund und Förderer der Hochschule Mittweida blieb“, so Hilmer. Zur Investitur des Rektors im Jahr 2012 kündigte sich Biedenkopf als Festredner an und überraschte die Gäste aus Wirtschaft und Politik, als er keinen ins letzte Detail vorbereiteten Vortrag verlas, sondern anhand seiner persönlichen Notizen auf die gemeinsamen Begegnungen in der Nachwendezeit zurückblickte.

Biedenkopf selbst machte schnell Erfahrung mit den Ideen, die aus in den neuen Studienangeboten auf dem Mittweidaer Campus entstanden. Heute beinahe vergessen ist, dass die sächsische CDU sich an die HSMW wandte, um den eigenen Parteitag im Jahr 1999 einer Frischzellenkur zu unterziehen. Die Mittweidaer Medien-Studierenden erarbeiteten ein Konzept. Zeitgerecht sollte es sein. Modern, begeisternd, auch mit Traditionen brechend. Unter anderem wurde die traditionelle Bergmannskapelle ersetzt, der Auftritt des Ministerpräsidenten sollte mit Tina Turners „The Best“ inszeniert werden. Am Tag vor der Veranstaltung änderte Biedenkopf die Planungen. Auf die von den Medien-Studierenden vorgeschlagene Begleitung seines „Einzugs“ in die Leipziger Messe durch mehrere junge Frauen verzichtete er – dem Regisseur waren die Inhalte wichtiger als die Show und die Mittweidaer Medienjugend doch etwas zu forsch.